Das Trojanische Pferd der Vernunft

Ein Text, der mir heute als Paradebeispiel für diesen ideologischen Umbau erscheint, ist Nikil Mukerjis Artikel über sogenannte "Ideenpathogene". Er konstruiert ein Bild, in dem Skeptiker als immunologische Zellen gegen geistige Krankheitserreger auftreten.

Wie ideologische Machtkämpfe unter dem Deckmantel des Skeptizismus geführt werden

Vorwort

Im Jahr 2022 habe ich erstmals Anschluss an die GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften) gefunden – und zum ersten Mal das Gefühl gehabt, wirklich zu einem Verein zu gehören. Gemeinsam mit einigen Mitgliedern engagierte ich mich in der Debunking-Arbeit und widmete mich über mehrere Jahre der Aufklärung toxischer Strukturen, die besonders für traumaerfahrene Menschen ein Risiko darstellen können.

Im Jahr 2023 bekam allerdings das gutes Verhältnis zur GWUP erste Risse. So musste ich unter anderem feststellen, dass Teile der GWUP eine gesellschaftspolitische Haltung offenbaren, die ich strikt ablehne. Leider befinden sich seit der Neuwahl am 11.05.2024 einige Personen aus dieser Gruppierung in der GWUP-Führungsebene (Vorsitzender, Vorstand und Wissenschaftsrat), was dazu führt, dass ich mich von diesem Verein ausdrücklich distanziere.

Der Umbau

Ein Text, der mir heute als Paradebeispiel für diesen Umbau erscheint, ist der Artikel von Nikil Mukerji – Leiter des wissenschaftlichen Zentrums der GWUP – über sogenannte „Ideenpathogene“. Er konstruiert ein Bild, in dem Skeptiker als immunologische Zellen gegen geistige Krankheitserreger auftreten. Begriffe wie „epistemische Antikörper“, „infizierte Organisationen“ und „T-Killerzellen“ machen klar: Hier wird nicht argumentiert, hier wird allem Anschein nach vernichtet. Nicht Argumente stehen im Vordergrund, sondern Bekämpfung, Ausschluss und Kontrolle.

Was diesen Vergleich so gefährlich macht: Zahlreiche namhafte Skeptikerinnen und Wissenschaftlerinnen, die über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg zur Seriosität und Glaubwürdigkeit der GWUP beigetragen haben, werden in dieser Metaphorik indirekt mit einem Virus gleichgesetzt – als schleichende Gefahr, als zu eliminierende Störung. Der Text entwertet damit rückwirkend die Arbeit vieler, die die GWUP mitaufgebaut und geprägt haben.

Eine ideologische Kriegserklärung

Mukerjis Artikel wirkt wie eine ideologische Kriegserklärung. Gegner werden als pathogene Erreger oder Viren beschrieben, eine innerorganisatorische Debatte wird als Sabotage von innen umdeutet und kritische Mitglieder werden zu „Pseudoskeptikern“ erklärt – also zu Feinden im eigenen Lager.

Das ist kein offenes Nachdenken über Skeptizismus, sondern – so meine ganz persönliche Wahrnehmung – erinnert an eine ausgefeilte Strategie zur ‚ideologischen Bereinigung‘. Wer nicht in ihr Bild passt, wird als infektiös, zerstörerisch und gefährlich dargestellt. Wer also nicht bereit ist, die GWUP als eine Institution verkommen zu lassen, die einen hochgefährlichen Kulturkampf anheizt, muss entfernt werden? Ich lasse das als Frage im Raum stehen.

Die Trojaner-Strategie – Wenn Sprache zur Waffe wird

Interessant ist dabei der Ursprung dieser Metapher. In der Forschung stammt sie ursprünglich aus einem satirisch-analytischen Aufsatz von Breanne Fahs und Michael Karger (2016), in dem feministische Theoriearbeit mit einem Virus verglichen wird, der sich an bestehende Disziplinen „anheftet“, um diese zu verändern. Es war eine selbstironische, spielerische Formulierung – kein Aufruf zur Ausgrenzung, sondern ein Reflexionsangebot zur disziplinären Grenzüberschreitung. Diese subtile, fast humorvolle Idee wird bei Mukerji jedoch ins Gegenteil verkehrt: Aus einer theoretischen Metapher über Diskurse wird ein praktisches Ausgrenzungsinstrument gegenüber Personen.

Er kombiniert diese Umdeutung mit einem zweiten ideologischen Konzept: den „Ideenpathogenen“ nach Gad Saad. Saad beschreibt in seinem Buch „The Parasitic Mind“ progressive gesellschaftliche Ideen – von Genderforschung bis Postkolonialismus – als krankhafte Gedankenviren, die das rationale Denken infizieren. Mukerji übernimmt diese Sprache nahezu vollständig und verschärft sie, indem er behauptet, dass solche „Ideenpathogene“ nicht nur in der Gesellschaft kursieren, sondern bereits das Innere der Skeptikerbewegung befallen hätten.

Was ursprünglich als kritische Satire über wissenschaftliche Dogmen begann, wird so zu einem handfesten ideologischen Apparat: Wer nicht in die Linie passt, ist nicht mehr Teil eines pluralen Diskurses, sondern eine Gefahr für das System.

Wenn sich die Ideologie sicher fühlt

Was mich heute besonders nachdenklich macht, ist nicht nur die Rhetorik selbst – sondern der Umstand, dass man sie inzwischen so offen aussprechen kann, ohne Widerspruch oder Konsequenzen befürchten zu müssen. Dass ein Text wie der von Nikil Mukerji, durchsetzt mit Kriegsmetaphern, Polarisierung und Ausgrenzungslogik, veröffentlicht wird, ist kein Zufall. Es ist Ausdruck eines kulturellen Klimas, in dem solche Narrative nicht nur geduldet, sondern begrüßt werden.

Man fürchtet keine Kritik. Keine sozialen oder beruflichen Sanktionen. Im Gegenteil: Man weiß, dass diese Denkweise auf fruchtbaren Boden fällt. Denn die Entwicklung, die hier beschrieben und gleichzeitig legitimiert wird, ist längst Realität geworden.

Die GWUP – einst eine Organisation zur Förderung von Wissenschaft, Aufklärung und rationaler Debatte – ist politisiert worden. Nicht durch „Woke-Ideologie“, wie es ihre neuen Wortführer behaupten. Sondern durch die strategische Besetzung mit Akteuren, die wissenschaftliche Skepsis mit weltanschaulicher Kontrolle verwechseln. Genau jene politische Umformung, die man anderen vorwirft, wurde selbst vollzogen.


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