Geschrieben am 28.02.2023
Frank Urbaniok nennt drei wesentliche Elemente für das Problem der Satanic Panic in der Therapie: erstens ein sich der Belegbarkeit komplett entziehendes, geschlossenes System, zweitens das hinzukommende psycho-chirurgische Element von Mind Control abseits jeglicher Beweisbarkeit. Drittens ist in den sozialen Medien eine Art Hype um die Dissoziative Identitätsstörung entstanden, sodass diese seltene, schwere Traumafolgestörung auch als eine Art Modediagnose fungiert, die u.a. von Menschen mit anderen psychischen Problemen als Erklärung für eben diese aufgegriffen wird.
Nicht alle Therapeuten, bei denen dies in Therapien eingeflossen ist, sind jedoch Verschwörungstheoretiker: „Die Hardcore-Verschwörungstheoretiker in der Therapieszene sind eine ganz kleine Gruppe“, die Breite entstehe durch unklare Definitionen, Mischformen und Missverständnisse. So beschreibt Urbaniok die Auswirkungen von Satanic Panic auf die Therapie und auf Traumatherapeuten, die nicht von einer Verschwörungsideologie kommen, sondern aus der praktischen Arbeit und z.B. auf Fortbildungen auf vermeintliche Experten treffen, die das Narrativ propagieren – und vielleicht auch noch ein Geschäftsmodell draus machen.
Urbaniok plädiert hier für eine Differenzierung und dafür, alles zu vermeiden, wo man Traumatherapie insgesamt in Misskredit bringt. Im Gegenteil: „Es geht darum, den qualitativen Kern dieser Arbeit zu schützen gegen den verschwörungstheoretischen Irrglauben.“
Oftmals führe eine sehr empathische Haltung von Therapeutinnen dazu, dass man regelrecht in einen Sog gerate: Vor dieser Gefahr, die professionelle Distanz zu verlieren, wenn aus Therapeutin und Patientin Freundinnen werden, warnt Bianca Liebrand – und auch vor einer gegenseitigen Erwartungshaltung in dieser Konstellation.
Hinzukommend nennt Urbaniok einen weiteren Problempunkt: Therapietechnisch ist es essenziell, so zu behandeln, dass die Persönlichkeitsspaltung nicht verstärkt wird; etwas, was jedoch bei Behandlungen nach diesem Verchwörungsnarrativ oft passiere, wenn die Klienten immer mehr von der Realität abgerückt oder falsche Erinnerungen stabilisiert werden. „Da hat es dann auch eine Nähe zu Sektenmechanismen, wo wir dann ganz schnell dabei sind, Kontakte zur Familie abzubrechen, weiter in den Irrsinn reingetrieben zu werden.“ Das ist handwerklich die falsche Strategie, um mit Dissoziativen Identitätsstörungen umzugehen, so der Psychiater, denn es soll in die in die Realität zurückgeholt und nicht weiter in die Spaltung getrieben werden: „Diese Therapeuten, die da auf dem falschen Weg sind, gehen die gegenteilige Richtung“.
Was sind nun die Konsequezen? Die aktuellen Fälle sind aufzuarbeiten, wissenschaftlich zu publizieren und zu differenzieren, fordert Urbaniok eine fachliche Diskussion abseits einer reflexartigen Positionierung: „Ich bin eigentlich recht optimistisch, dass man das hinbekommt, weil da viele Therapeuten auch guten Willens sind, das sind nicht alles verpeilte Verschwörungstheoretiker, das kann man auf einer sachlichen Eben abholen.“ Die Voraussetzung für diese Diskussion sind eine Anerkennung des Problems, geschaffene Transparenz und dass es nicht unter den Teppich gekehrt wird: „Da ist man in der Schweiz ein Stück weiter als man das in Deutschland im Moment noch ist.“ In der Schweiz haben engagierte Journalisten zur Aufarbeitung beigetragen.
Satanic Panic und die Medien
Medial ist in Deutschland jedoch der umgekehrte Weg zu betrachten, weist Bernd Harder auf den Artikel in der taz und das ARD Radiofeature hin: „Wir haben hier in Deutschland den Eindruck, je mehr die Geschichte unter Druck gerät, desto eher fühlen sich Journalisten anscheinend bemüßigt, dem beizuspringen“, was jedoch nicht aus Verschwörungslaube passiere, sondern aus dem Wunsch den Opfern beizustehen. Das Problem sei, dass Fachverbände zutiefst überzeugt sind, dass es das alles gibt und an die Journalisten weitergeben, was von diesen wiederum bestätigt wird.
Man beruft sich hierzu auch z.B. auf die Hamburger Studie der Klinik Eppendorf, wo mit einer anonymen Onlinebefragung derartige Fälle angeblich dokumentiert wurden, so Urbaniok. Das Problem jedoch sei, dass man nicht die Häufigkeit von solchen Fällen ableiten kann, wenn man anonym etwas abfragt: „Da werden sich ganz viele Menschen melden und man wird die abstrusesten Ergebnisse bekommen. Aus dem kann man nicht ableiten, es gibt das Phänomen tatsächlich.“
Das wird auch von sehr offizieller Stelle in Deutschland vertreten, hierzu nennt Lydia Benecke eine Stellungnahme des Betroffenenrates der UBSKM aus 2018: „Natürlich werden sich öffentlich-rechtliche Medienvertretende daran orientieren.“ Wenn dann überprüfbare Fakten hierzu gebracht werden, sei es schwierig, damit Gehör zu finden, denn als Gegenargument folge: „Unsere Privatmeinung gegen offizielle Stellungnahmen einer natürlich auch nachvollziehbarerweise, sehr angesehen Stelle.“
Es geht um Opferschutz – für alle Opfer
Aktivistische Gruppen, die sich damit identifizieren, reagieren auf den Druck mit Gegendruck, schildert Urbaniok: Denen droht eine Identität verloren zu gehen, ein Geschäftsmodell, eine zwanzig Jahre praktizierte Theorie und Expertise und in Folge interpretieren sie die Diskussion als eine Verschleierung und ein Mundtotmachen von Opfern, was sofort ins Narrativ eingebaut werde.
„Je mehr diese Szene unter Druck gerät, desto mehr Abwehrreflexe entstehen“, so auch Bernd Harder. Dazu gehören auch auf Social Media auftauchende Videos von Menschen, die sich selbst als DIS-Betroffene aus satanistisch-rituellem Kontext bezeichnen, und dazu aufrufen, immer mehr Inhalte dazu zu produzieren. „Ich hab Videos gesehen“, ergänzt Urbaniok aus fachlicher Sicht, „bei denen ich sicher bin, das es sich nicht um tatsächliche Opfer handelt. Die gibt es auch und die werden dann z.B. von interessierter evangelikaler Seite entsprechend protegiert.“ Es erinnere in der Ausdrucksweise an einen Kaffeekranz: „ja die Satanisten machen dies und jenes“, geht Urbaniok auf die identitätsstiftende Funktion dieses Narrativs ein. Er fügt jedoch hinzu: „Ich habe seit dreißig Jahren mit schwerst traumatisierten Menschen zu tun und ich habe noch keinen Menschen gesehen, der dann so über solche Sachen geredet hätte.“
Aber auch Betroffene, die an das Narrativ glauben, stehen unter einem Leidensdruck: „Wir nehmen jeden ernst, der bei uns anruft“, sagt Bianca Liebrand.
„Wofür wir uns einsetzen sind Opfer“, ergänzt Urbaniok, „aber für alle Opfer“: Selbstverständlich für Opfer von schwerstem sexuellen Missbrauch, aber auch für Opfer von Fehlbehandlungen, denen man etwas einredet, was ihre psychische Gesundheit schädigt und die von Drittpersonen.“
„Wir sind keine Täterschützer, ganz im Gegenteil“, so bringt es Annika Harrisson zusammengefasst auf den Punkt.