„Emma“ wittert den „trans Skandal“

„Emma“ wittert den „trans Skandal“

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Worum geht es im Detail?
Durch Geschlechtsänderung alle Problem weg?
Deadnaming, Trauma und OP-Horrorstorys
Launige Kommentare als Meinungsjournalismus
Fazit

Vorwort

Mit einer aufmerksamkeitsheischenden Schlagzeile rund um einen vermeintlichen „trans Skandal“ und dessen „fatale Folgen“ scheint die September-Auflage der Zeitschrift Emma aus dem Jahr 2023 auf Bildzeitungs-Niveau um Käufer zu buhlen. Zyniker mögen anmerken, dass es die Zeitschrift wohl auflagentechnisch (sprich: finanziell) dringend nötig habe, derart provokant um Leser zu werben. Pragmatiker hingegen verweisen auf die genderkritische Positionierung der Alice-Schwarzer-Zeitschrift, dessen Herausgeberin bekanntlich eine Streitschrift zum Thema veröffentlicht hat und von einer „Trans-Mode“ spricht, wann immer sie dazu die Gelegenheit (oder ein Mikrofon) bekommt.

Jedenfalls springt das Cover der betreffenden Emma regelrecht ins Auge: „DER TRANS SKANDAL. Die fatalen Folgen von Hormonen und OPs. Lebenslang.“ Dazu neongelb und magenta als Schriftdesign der großen Lettern – das tut nicht nur optisch in den Augen weh, sondern ist vielmehr ein Schlag ins Gesicht für Menschen, die sich als trans definieren. Ist ihre Identität und Selbstbestimmung nun etwa ein Skandal? Oder die geschlechtsangleichenden Eingriffe, die dazu – nach subjektivem Wunsch – vorgenommen werden? Das einzig skandalöse ist eine feministische Zeitung, die – einem Revolverblatt gleich – zu wissen glaubt, was richtig ist und was nicht.

Bereits die Überschriften des Schwerpunktheftes lassen erahnen, was wohl der Inhalt dieser Ausgabe ist: „Der Trans-Skandal“, „Was Hormone anrichten“, „Die irreparablen Folgen der OPs“, „Das große Geschäft der Pharma-Branche“ – um nur einige zu nennen.

Worum geht es im Detail?

Wer verdient am trans-Hype?Mit dieser Frage leitet einer der Hauptartikel ein und schreibt von einem „Markt für Geschlechtsangleichung“ sowie – in kapitalistischer Manier – von trans Personen als Kundenstamm: „Sie kommen aus eigenem Antrieb, betteln um Medikamente, und wenn sie einmal damit angefangen haben, müssen sie sie ihr Leben lang nehmen.“ Das sei, so führt der Bericht fort, für Kliniken und Pharmaunternehmen „nichts weiter als ein Geschäft“. Stimmt das? Lässt sich die komplexe medikamentöse Behandlung wirklich auf die Gleichung big pharma = big money reduzieren? Nein, im Gegenteil: Medikamente, die trans Personen erhalten, wurden nicht speziell für sie entwickelt, stellt das Queer Lexikon richtig: Estradiolpräparate sind zum Beispiel gegen Beschwerden in den Wechseljahren und Testosteron-Medikamente für cis Männer bei Hormonmangel entwickelt worden. Das heißt also, das vermeintliche Big Business der Pharma-Branche gründet sich vornehmlich auf althergebrachte Medikamente, die nun auch für trans Personen verschrieben werden. Damit fällt Emmas Argumentation in sich zusammen, denn dass medikamentöse Therapien und OPs per se nicht gratis sind, sondern im Indikationsfall von Krankenversicherungen übernommen werden, dürfte jedem klar sein.

Interessant ist übrigens, dass ausgerechnet die Zeitschrift Emma hier das Argument „follow the money“ zentral in den Ring wirft … Da könnte man doch die pointierte Gegenfrage stellen: Wer verdient am genderkritischen Hype? Doch nicht etwa Emma bzw. im Endeffekt Alice Schwarzer …? Letztere ist ja bereits geübt im Umgang mit „steuersparenden“ Schweizer Konten bzw. ist Schwarzer, wie die taz über ihr „bombiges Geschäft“ formuliert, eine „Täterin, die knallhart ihre Eigeninteressen maximiert hat“. Derartigen Geldbewegungen sollte man folgen – falls man sie im Fall von Alice Schwarzer überhaupt findet – und nicht über vermeintliche Giga-Profite der Pharmaindustrie monieren und dahinter eine „einflussreiche trans Lobby“ wittern.

Durch Geschlechtsänderung alle Problem weg?

Der nächste Artikel der papiergewichtigen (manchmal jedoch seltsam inhaltsleer anmutenden) Zeitschrift bleibt beim Thema Hormone, doch geht es diesmal nicht ums Geld, sondern um ein weiteres Thema, was von genderkritischen Feminist: Innen nur zu gerne ins Treffen geführt wird: junge Mädchen, die sich als trans outen.

Hierzu wird Dr. Johannes Huber vom Wiener AKH interviewt, der die erste Ambulanz für trans Personen in Österreich gegründet hat. Übrigens: Zur Person von Johannes Huber ist festzuhalten, dass er – wie Wikipedia zusammenfasst – in der Kritik stand, „Esoterik und Pseudowissenschaften“ zu verbreiten. So wurde er nicht nur von der GWUP für den NegativpreisGoldenes Brett vorm Kopf“ nominiert, sondern auch von Fachkollegen wegen einer „Zelltherapie“ gegen Krebs kritisiert. Diese Fakten zu Huber stehen zwar nicht in direktem Zusammenhang zum Interview, sollen allerdings auch nicht unerwähnt bleiben.

Worum geht es in dem Emma-Interview? Johannes Huber spricht über medikamentöse Therapien und sieht die Behandlung von Kindern mit Pubertätsblockern als „Katastrophe“. Dass es hierzulande bezüglich der Verordnung von Puberstätsblockern und Hormontherapien klare Regelungen gibt, lässt er im Interview jedoch unter den Tisch fallen. Statt einer diesbezüglichen (dringend notwendigen!) Klarstellung wird trans u.a. als Ausdruck von „anderen seelischen Problemen“ bei Teenagern geframed – ein rhetorisches Muster, was den Anhängern der ROGD-Hypothese gleicht. So sagt Johannes Huber: „Das Problem ist, dass diese Menschen häufig auch andere seelische Probleme haben. (…) Denn gerade junge Mädchen, die in der Pubertät eine Menge Probleme haben, glauben, wenn sie das Geschlecht ändern, dann seien diese Probleme alle weg. Es hat ja einen Grund, dass 80 Prozent der Jugendlichen, die das Geschlecht wechseln wollen, Mädchen sind. Das hat doch mit unseren Rollenbildern zu tun. Deshalb müssen wir auch soziologisch auf das Phänomen schauen.

Auch hier gilt: Natürlich bedarf es einer fachlichen Differenzierung zwischen etwaigen psychischen Erkrankungen, die unabhängig von der Identifikation als trans bestehen. Benützt man jedoch unentwegt das Argument, dass junge Mädchen sich von einer Geschlechtsänderung das Verschwinden ihrer Probleme erhoffen würden, pathologisiert man die Selbstidentifikation als trans und rückt diese subtil in die Nähe von psychischen Erkrankungen (Zu diesem Thema siehe auch folgenden Artikel dieser Webseite).

Deadnaming, Trauma und OP-Horrorstorys

Ein weiterer Artikel des Schwerpunktheftes widmet sich den autobiografischen Werken von trans Männern, v.a. dem kürzlich erschienen Buch „Pageboy“ von Schauspieler Elliot Page. Dieser wird im Emma-Artikel gleich mit seinem ehemaligen Vornamen – Ellen – vorgestellt, wenn es heißt: „Die Schauspielerin Ellen Page lebt heute als Transmann Elliot und wird bejubelt. Selbst Präsident Obama gratulierte zur Transition. Doch was Page in seiner Autobiografie schildert, ist eher eine traurige Geschichte. Sie handelt von sexuellen Übergriffen, Essstörungen und Homophobie in Hollywood und in Pages eigener Familie.“

Und genau da setzt der Artikel an: Ja, es sind äußerst tragische Umstände und schwere Gewalterlebnisse, von denen Elliot Page berichtet. Doch der Artikel belässt es keineswegs mit einer neutralen Wiedergabe der Geschehnisse – im Gegenteil, diese werden in das allgemeine genderkritische Narrativ eingebettet: „Trauma ist ein häufiges Thema in Trans-Autobiografien oder, besser gesagt, in den Memoiren von Trans-Männern. Die Memoiren von Transfrauen sind zumeist überschwängliche Erzählungen der Selbstverwirklichung (wenn auch meist mit einer gewissen Homophobie im Hintergrund, ähnlich wie bei Pages Mutter). Die Memoiren von Trans-Männern hingegen sind oft erschütternde Berichte über Vergewaltigungen und Selbstverletzungen, die in irreversiblen Körperveränderungen gipfeln.“ (ebd.)

Damit schließt sich (erneut) der rhetorische Kreis zur ROGD-Debatte – denn auch diese bringt stets das Argument, dass hinter einer trans Identität „andere Probleme“ stecken könnten bzw. der Kampf gegen das Frau-Sein: „Oberflächlich betrachtet ist „Pageboy“ ein euphorischer Bericht über die „Selbstfindung“ von Page: die Mustererzählung einer Trans-Biografie. Das Happy End besteht darin, dass Page in einem Krankenhausbett aufwacht, ohne Brüste. (…) Zwischen den Zeilen gibt es jedoch noch eine andere Geschichte: Die eines sich selbst hassenden Mädchens, das entschlossen ist, aus ihrer Weiblichkeit zu flüchten.“ (ebd.)

Rhetorische Frage an die Emma-Redaktion: Einen Artikel abzudrucken, der meint, die Geschichte von Elliot Page besser einordnen zu können als der Schauspieler selbst (und dazu noch Deadnaming betreibt), scheint eine verzweifelte Argumentation, Elliots Weg als trans Person in Frage zu stellen. Oder ist dies gar der Versuch, die Geschichte des trans Schauspielers zu eigenen, genderkritischen Gunsten zu drehen? Und das obwohl er bei Buchveröffentlichung auf seinem Instragramkanal anmerkt: „our humanity is regularly „debated“ in the media“. Zu seiner Lebensgeschichte gibt es nichts zu debattieren, hineinzuinterpretieren oder erörtern – abgesehen von einer Buchrezension seines Werkes natürlich. Doch von letzterer ist der meinungsmachende Emma-Artikel meilenweit entfernt.

Stichwort Meinungsmache: Hier wären wir bei einem weiteren Artikel angekommen, der in der gefühlten Tour de Force das Thema trans in genderkritischer Emma-Sichtweise aus einem weiteren Blickwinkel abhandelt: So darf hier ein Artikel zu den OP- und Hormonrisiken bei geschlechtsangleichenden Eingriffen nicht fehlen. Dieser wird dementsprechend mit schreiberischem Trommelwirbel angekündigt: „Ärztin Martina Lenzen-Schulte erklärt, was die Werbe-Prospekte der Kliniken gern verschweigen“ (ebd.) Natürlich bieten diese Operationen Risiken – und über diese wird seitens der Kliniken auch sachlich, neutral und detailliert aufgeklärt (wie übrigens bei jedem medizinischen Eingriff oder einer OP). Einem derartigen Aufklärungsversprechen scheint Emma jedoch bereits ab der ersten Zeile nicht nachzukommen, wenn der Artikel reißerisch einleitet: „Als die Patientin in den OP-Saal geschoben wurde, hörte der Chirurg ‚etwas knallen‘. Und: ‚Als ich nachsah, stellte ich fest, dass das ganze Ding aufgerissen war. Das ‚Ding‘ war die Vagina der Patientin, genauer gesagt: die Neo-Vagina.“ (ebd.) Ein Bericht, der mit so einem Satz beginnt, soll allem Anschein nach (nur) eines: nämlich trans Personen vor operativen Eingriffen abschrecken und das Thema skandalisieren. Medizinisch sachliche und seriöse Aufklärung geht anders.

Launige Kommentare als Meinungsjournalismus

Den Reigen der genderkritischen Artikel runden – save the best for last – zwei Kommentare ab: Das erste meinungsjournalistische Element mit dem Titel „Plötzlich privilegiert“ hat die Wiener Journalistin Elfriede Hammerl verfasst, die im österreichischen Nachrichtenmagazin profil mit scharfen Formulierungen kürzlich Öl ins Feuer gegossen hat („Der wahre Widerpart für die Aktivistinnen der Trans-Frauen sind, so scheint es, die Bio-Weiber, die ihnen den Körper voraushaben, den sie sich wünschen“) und eine „Spaltung“ zwischen cis Frauen und trans Frauen herbeikonstruieren möchte. Dazu vermutet sie einen „Konkurrenzkampf“ und „dass die Aktivistinnen der Trans-Frauen nicht einfach nur dazugehören, sondern als die „richtigeren“ Frauen gelten wollen.“ (ebd.)

Dass derartige Aussagen eine große Resonanz im Leserkreis der Emma finden, verwundert nicht. Ebenso wenig, dass sie im Emma-Kommentar bemängelt, dass Feminismus nicht mehr das sei, was er einmal war: „So schnell kann’s gehen. Du legst dich gemütlich als verbitterte, männerfeindliche, brave Gattinnen abschreckende Emanze nieder und wachst als weiße, privilegierte, bürgerliche, transphobe Cis-Frau wieder auf.“ Mit letzterer Aussage dürfte Elfriede Hammerl allerdings recht haben – sofern sie sich damit als Ich-Botschaft lediglich auf ihre eigene Person bezieht.

Der zweite Emma-Kommentar stammt von der feministischen Linguistin Luise F. Pusch, die sich selbst klar verortet: „Ich kämpfe für eine gerechte Sprache und gegen die Gender-Ideologie“. Die Sprachwissenschaftlerin arbeitet sich nach allen Regeln der (trans-kritischen) Kunst am Akronym FLINTA* ab – und zieht dabei wirklich alle Register: So spricht sie hier von „unangenehmen Assoziationen“ zu Flinte und „Flintenweibern“ (ebd.) Wie man bloß auf so kreative Wortbedeutungen kommen kann?! … Als ob das nicht schon genug wäre, wirbt die Linguistin erneut für die weitere Verwendung des Binnen-I, obwohl das nicht mehr zeitgemäß ist, weil es sprachlich trans Personen exkludiert. Ihr Argument: Sie bemängelt eine „extreme Unausgewogenheit zugunsten der transgender Personen“ in der Debatte – und vergisst dabei geflissentlich, dass es genau darum geht, dieser marginalisierten Minderheit endlich eine Stimme zu verschaffen. Diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen scheint für sie nicht zu zählen (für Emma übrigens ebenso wenig).

Fazit

Es ist eine Emma Schwerpunktausgabe, wie sie zu erwarten war: viel Kritik, Tränendrüsen-Argumente und Haltungsjournalismus nach allen Regeln der Kunst. Ausgewogene Berichterstattung? Fehlanzeige. Wer die Emma-Ausgabe in Gänze lesen und dafür schlappe 11,80 Euro hinblättern möchte – womit wir beim Eingangsthema wären: Wer profitiert finanziell an dieser Stelle? – kriegt Meinungsmache in Reinkultur. Oder in den Worten der Frankfurter Rundschau ausgedrückt: Emma „überspitzt Reizthemen, attackiert gnadenlos und buhlt um Applaus aus rechtextremen Kreisen“. Na dann: Chapeau.

Und wer nun meinen könnte, dieser Bericht über die September-Auflage sei jetzt – beinahe ein Jahr später – nicht mehr aktuell, der wird bei einem Blick auf aktuelle Emma-Artikel, welche die Ressentiments (um es milde auszudrücken) gegenüber trans deutlich machen, eines Besseren belehrt …

Beitragsfoto: September 2023-Ausgabe der Zeitschrift Emma

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