Pro Ana und Jugendschutz

Pro Ana und Jugendschutz

Die deutsche Politik bzw. der deutsche Jugendschutz beschäftigen sich seit Jahren mit dem Problemfeld Pro Ana. So verlinkt z.B. eine Broschüre des Familienministeriums hierzu Anlaufstellen und Hilfemöglichkeiten. Die Webseite Jugendschutz.net ist federführend in der Aufklärung und warnt u.a. vor einem „lebensgefährlichen „Wir-Gefühl“, das von Therapien abhält, zur Geheimhaltung animiert und immer weiter in den Strudel der Krankheit treibt.

Bereits im Jahr 2009, also zur Hochblüte der deutschen Pro Ana Webforen, hat die 1997 gegründete Einrichtung Jugendschutz.net in einer Bundestags-Anhörung im Ausschuss für Familie, Frauen, Senioren und Jugend auf das Problem aufmerksam gemacht.

Die in dieser Stellungnahme präsentierten Zahlen sind erschreckend hoch: Seit 2006 wurden vom Jugendschutz über 670 Pro-Ana-Angebote recherchiert, bei 8 von 10 bestand dringender Handlungsbedarf (Stand: 2009). Durch Beanstandungen bei den Seitenbetreibern bzw. Anbietern von kommunikativen Diensten konnten Maßnahmen gegen die Ausbreitung dieser Webseiten ergriffen werden – mit einer Erfolgsquote von über 80 Prozent. Parallel zur Löschung der Seiten wurde eine Platzhalterseite namens http://www.anaundmia.de erstellt, die Links zu Hilfestellen enthielt, welche Provider anstatt des gesperrten Angebots bereithalten konnten.

Ein weiterer Erfolg im Kampf gegen die deutsche Pro Ana Szene war die Indizierung eines Pro Ana Blogs bei blogspot im selben Jahr 2009. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdenden Medien (BPjM) setzte eine bei Google gehosteten Seite, die in Folge offline genommen wurde, auf den Index. Autorin war eine minderjährige Bloggerin.

Rechtliche Vorgehensweise

Die Prüfung, ob diese Inhalte jugendgefährdend im Sinne des §18 JuSchG sind, erfolgt u.a. auch am Maßstab der Grundwerte der Verfassung, insbesondere Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 2 GG.131. Von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien wird eine Jugendgefährdung dann angenommen, wenn Medien dazu auffordern, sich oder anderen Menschen (schwere) körperliche Schäden zuzufügen, oder ein Verhalten verherrlicht bzw. verharmlost wird, das zu körperlichen Schäden führen kann. Eine Indizierung ist möglich, wenn es sich um jugendgefährdende Inhalte handelt; die Rechtsfolgen ergeben sich nach Landesrecht (Jugendmedienschutz-Staatsvertag). Sofern jugendgefährdende Inhalte vorliegen, dürfen diese nicht mehr durch Anbieter verbreitet oder sonst zugänglich gemacht werden. Falls die Einstufung als jugendgefährdend nicht erfüllt ist, ist auch eine Deklaration als „entwicklungsbeeinträchtigend“ gem. §5 JMStV möglich, worunter zum Beispiel Inhalte fallen, die auf der Beibehaltung der Krankheit fokussieren und therapeutische Hilfe ablehnen – was in Pro Ana-Webforen zumeist der Fall ist. Rechtlich käme in diesem Fall eine Altersregelung oder Labeling seitens des Anbieters in Betracht. (vgl. Bundestag, 2015, S. 30 ff.)

Im Anlassfall der Pro Ana-Webseite der minderjährigen Betroffenen von 2009 kam es in Folge zur Abwägung der verfassungsrechtlichen Rechtsgüter Kunstfreiheit (inklusive Meinungsfreiheit) gegenüber dem ebenfalls im Verfassungsrang stehenden Jugendschutz, wobei die Behörde letzterem den Vorrang einräumte. In der Begründung des Indizierungsantrags wurde detailliert angeführt, warum diese Webseite gemäß §18 (1) JuSchG dazu geeignet war, „die Entwicklung von Kinder und Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden“. In Folge wurde deren Inhalt als „mindestens jugendgefährdend“ eingestuft: „Die Indizierung hatte deshalb zu erfolgen, weil Kinder und Jugendliche durch das beanstandete Internet-Angebot zu einem Verhalten aufgefordert werden, mit dem sie sich selbst schwerste und lebensbedrohende Schänden zufügen.“

Wenige Jahre später, 2015, erschien eine umfangreiche Ausarbeitung des Bundestags zum Thema Magermodels in den Medien und der Möglichkeit staatlicher Einflussnahme. In diesem rechtlichen Gutachten ging es neben der Problematik der Abbildungen von Magermodels um die staatlichen Handlungsmöglichkeiten im Rahmen der Jugendschutz Gesetze. Im Kapitel 7 (Seite 28 ff.) wird direkt auf Pro Ana Seiten eingegangen und einige Charakteristika von Foren und Webseiten aufgezählt, die jugendschutzrechtliche Bedenken gem. §§4, 5 JMStV auslösen: „Anas Brief“ mit der Personifizierung von Ana als „Freundin“, Thinspiration-Bilder, Tipps und Tricks zur Gewichtsreduktion und Geheimhaltung, feste Regeln und Gebote an Verhaltensweisen, Glaubensbekenntnisse und Psalmen, die die Krankheit zelebrieren sowie Motivations- und „Thinlines“ zum Ansporn.

Ein generelles Verbot sämtlicher Pro Ana-Inhalte ist jedoch nach Ansicht der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien nicht möglich, denn diese sind sehr unterschiedlich in ihrem Angebot. Zudem müssen diese in Einzelfallprüfungen den genannten Grundrechte gegenübergestellt werden.

Internationale Regelungen im Kampf gegen Pro Ana

Von der deutschen Regelung unterscheidet sich die Herangehensweise in Frankreich maßgeblich: Dort wurde bereits 2008 ein Gesetz vorbereitet, das „Anstiftung zur Magersucht“ der Anstiftung zum Suizid gleichstellte und unter Geld- oder Haftstrafe stellt – mit dementsprechenden strafrechtlichen Konsequenzen. Dazu waren mehrere Gesetzesanläufe notwendig bis im Jahr 2015 die französische Nationalversammlung einer derartigen Gesetzesänderung (parallel zu einer Initiative gegen Magermodels in der Modebranche) zustimmte: Betreiber von Pro Ana Webseiten traf nun eine bis zu einjährige Haftstrafte bzw. Geldbußen im Ausmaß von 10.000 Euro.

Diese normative Lösung wäre jedoch nicht 1:1 auf Deutschland übertragbar, führt das Rechtsgutachten des Bundestags aus: „Für Anstiftung im Sinne des deutschen Strafgesetzbuches ist eine rechtswidrige Haupttat nötig (vgl. § 26 StGB). Magersucht oder andere Essstörungen stellen keine rechtswidrige, notwendig
tatbestandsmäßige Haupttat im Sinne des §26 StGB dar, sie sind als eigenverantwortliche Selbstgefährdung dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG unterworfen. Auch eine Anlehnung wie beim französischen Vorhaben an eine Anstiftung zum Selbstmord läuft fehl, da eine solche Strafbarkeit im deutschen Recht nicht vorgesehen ist. In Betracht käme die Erarbeitung eines neuen oder ergänzenden Straftatbestands, angelehnt an die Formulierung des §131 StGB, der gewaltverherrlichende oder verharmlosende Darstellungen unter Strafe stellt.“
(Bundestag, 2015, S. 34 f.)

Es bedarf zudem, wie erwähnt, einer Abwägung mit den grundgesetzlichen Freiheitsrechte.

Auch in anderen Ländern wie Großbritannien, den Niederlanden oder Israel gab es zeitgleich ähnliche Initiativen, die sich einerseits gegen die Modeindustrie wandten, die dortige Einführung eines Mindest-BMIs sowie die Kennzeichnung retuschierter Modefotos forderten, und andererseits gegen Pro Ana Seiten. Im Folgenden nur einige Beispiele, die internationale Vorgehensweisen im Kampf gegen essstörungsverherrlichende Inhalte zeigen:

In Italien gab (und gibt) es parallel zu den Bemühungen in Frankreich ebenfalls seit dem Jahr 2008 Kampagnen und ähnliche Gesetzesiniviativen, um den Artikel 580-bis über die Strafbarkeit der Anstiftung zur Anorexie ins italienische Strafgesetzbuch einzuführen. Aktuell – im Jahr 2023 – wurde über eine Bußgeldhöhe von 150.000 Euro und bis zu vierjährigen Freiheitsstrafen in besonders schweren Fällen (wenn das Opfer z.B. unter 14 Jahren ist) diskutiert.

Die Schweiz hat Pro Ana-Inhalte nicht unter ein generelles Verbot gestellt, wie in einer Interpellation an den Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt beschrieben wird. In der Anfragebeantwortung heißt es zur Diskussion zu einem Verbot von Pro-Ana-Seiten: „Ein gesetzliches Verbot müsste jedoch auf eidgenössischer Ebene erlassen werden, da sich eine kantonale Verbotsnorm nur auf Kantonsgebiet verfolgen liesse. Wie weit ein solches Verbot jedoch geeignet wäre, einer Verherrlichung der Magersucht entgegenzuwirken, ist allerdings sehr fraglich, insbesondere weil viele der genutzten Plattformen nicht in der Schweiz gehostet werden. Weiter dürfte es sehr schwierig sein, entsprechende Anstifterinnen oder Anstifter aus den Foren zu ermitteln und strafrechtlich zu belangen, gerade wenn diese aus dem Ausland operieren und dieses Land kein Verbot kennt.“

Auch in Österreich ist die Situation ähnlich, wie das Magazin Datum im Jahr 2019 zusammenfasst und eine Kinderrechtsexpertin zitiert: Demgemäß gibt es keine generelle Rechtsgrundlage zur Löschung von entsprechenden Inhalten, unter Umständen könnten Inhalte nach dem Jugendschutzgesetz des jeweiligen Bundeslandes als jugendgefährdend eingestuft werden.

In Spanien kam es auch zu frühen Bemühungen gegen Pro Ana, so setzte z.B. die spanische Kinderschutzorganisation Protegeles auf die freiwillige Selbstbindung der Provider. Die Organisation traf in den frühen 2000er Jahren bereits mit mehreren Providern entsprechende Vereinbarungen und hat zudem Infohotlines eingerichtet, an einer Studie über die Gefahren von Pro Ana mitgewirkt und eine Ersatzseite anstelle von Pro Ana-Angeboten https://www.anaymia.com/ eingerichtet. Diese ist allerdings gegenwärtig nicht mehr erreichbar.

In den USA wurden ab 2001 von der Suchmaschine Yahoo sukzessive Pro Ana Inhalte entfernt, diesem Bestreben folgten danach u.a. MySpace und MSN sowie Ebay, das Pro Ana Produkte von der Liste der erlaubten Produkte strich.

Neue Herausforderungen und Problemfelder für Behörden, Jugendschützer und Beratungsstellen weltweit ergeben sich insbesondere in den sozialen Medien, gegenwärtig vor allem in von außen nicht kontrollierbaren WhatsApp Gruppen oder auf der Plattform TikTok.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert