Psirams ME/CFS‑Reihe

Anatomie eines Feldzugs gegen ME/CFS

Wenn „Skepsis“ zur Ideologie wird, ersetzt Arroganz die Analyse – und ME/CFS-Betroffene werden zu Kollateralschäden im Diskurs um Macht.


Psirams „MECFS“-Serie (Teil 1–4 plus „Anhang“) operiert nicht als nüchterne Evidenzprüfung, sondern als diskursive Waffe: Krankheitsdefinition entkernen, Symptome entwerten, Todesfälle relativieren, Patient:innen psychologisieren – und das alles unter dem Banner „Skepsis“.


Der Etikett-Trick: Terminologie als Fallbeil

Taktik: In Teil 1 wird ME/CFS semantisch auf „Enzephalomyelitis“ verengt – inklusive Checkliste akuter Enzephalitis-/Myelitis-Zeichen (Koma, Herdsymptome, Liquorzellzahl etc.). Weil diese bei ME/CFS erwartungsgemäß fehlen, wird das Label „Enzephalomyelitis“ als Wunschdenken abgetan. Ziel: Den Begriff selbst delegitimieren und damit die Krankheit gleich mit.

Befund: Der Autor tut so, als müsse jedes Wortteilchen im Namen („Enzephalo-…“) klinisch mit Koma, Liquorpleocytose und MRT Leuchtfeuer korrelieren – sonst ist’s keine „richtige“ Krankheit. Die Argumentationslinie: Wenn du keine klassischen Enzephalitiszeichen hast, streich den Namen, streich am besten gleich die Krankheit. Dazu die Litanei „ohne apparative Befunde keine Enzephalitis/Myelitis“ – und schwupps wird ME/CFS per Namenspolizei entwertet. Das ist Semantik als Skalpell: man schabt am Label, nicht an der Evidenz.

Kunstfehler 1 – Etymologischer Fehlschluss: Der Text verwechselt Wortherkunft mit Wirklichkeit. Medizinische Nomenklatur ist oft ungenau, historisch, kompromissgeboren (NICE weicht z. B. auf „encephalopathy“ aus) – das sagt nichts über die Existenz oder Schwere eines Syndroms. Der Versuch, aus der Namensgeschichte eine Ontologie zu basteln, ist Leitlinien-Lyrik statt Logik.

Kunstfehler 2 – Gerätemystik: „Kein MRT Befund? Kein Nervenwasser-Bingo? Dann ist da nix.“ Diese Apparate-Religion ignoriert, dass Syndromdiagnostik oft mit klinischen Mustern arbeitet und dass fehlende Goldmarker keine Negativbeweise sind. Abwesenheit eines Signals ist kein Beweis für Abwesenheit eines Problems – nur für die Grenzen deiner Messung.

Kunstfehler 3 – Strohmann per Definition: Der Text baut das Karikaturwesen „akute Enzephalitis“ auf, um ME/CFS, eine chronische Multisystemerkrankung, herunterzureden. Das ist wie zu behaupten: „Kein Herzinfarkt, also gibt’s auch keine Kardiologie.“


Psychologisierung via Negativbeweis

Taktik: Teil 2 reklamiert: „Die Mehrzahl der Symptome ist psychisch“ und zieht aus dem Fehlen eines Biomarkers eine organische Leere – ergo psychosomatisch. Dazu wird Forschung selektiv abgekanzelt (Jason/IM-Kohorten, Waters-Reanalyse), flankiert von Forum-Selbstzitaten.

Befund: Der Autor „prüft“ Argumente gegen Psychogenese (u. a. Arbeiten um Scheibenbogen/Jason) – und desinfiziert sie mit Selektivwahrnehmung: Ein Editorial hier, ein Modell dort, viel Suggestion dazwischen. Die Grundaussage: „Nichts ist belegt, außer meiner Skepsis.“ Gleichzeitig wird Psychogenese nicht etwa bewiesen, sondern unterstellt, indem man Alltagsbanalitäten („bei chronischen Krankheiten gibt’s psychische Veränderungen“) zur Zauberformel hochjazzt. Tadaa: Psychologisierung by Default.

Kunstfehler 1 – „Nullhypothese Psyche“: Der Text macht die Psyche zur Standardursache und verlangt für jede organische Spur den Endgegner Beweis (Biomarker, Replikation, sakrale Einmütigkeit). Asymmetrische Beweislast ist kein Erkenntnisgewinn, sondern ein rhetorischer Zaun.

Kunstfehler 2 – Widersprüchliche Strenge: Immunologische, physiologische, klinische Signale werden als „nicht pathognomonisch“ weggewischt; die eigenen psychogenen Deutungen reichen dagegen mit Anekdoten + Historienkiste. Das ist Doppelmoral als Methode.

Kunstfehler 3 – Historische Nebelkerzen: Royal Free Debatte, SIR Modelle, „hysterische Epidemien“ – alles hübsch erzählt, aber am Kern vorbei: Wie erklärt das die heutige Belastungsintoleranz (PEM), die Flare Kinetik und die Langzeitverläufe? Tut es nicht – soll es auch nicht. Es soll nur Misstrauen säen.


PEM Sabotage: Variabilität als Beweis gegen Biologie

Taktik: Teil 3 erklärt PEM zur „wahllosen“, unvorhersehbaren, hypergeneralisierenden Klage – also „ohne organische Basis“. Variabilität und Latenz werden gegen die Krankheit gewendet; als Kronzeuge dient eine qualitative NIH-Studie (Stussman 2020), die Vielfalt der PEM-Erfahrung dokumentiert. Logik: Weil heterogen, daher funktionell/psychisch.

Befund: PEM (postexertionelle Malaise) wird als „alles und nichts“ dargestellt: zu variabel, zu patientenbezogen, zu wenig reproducible – ergo unseriös. Bonus: der Spott über Zähneputzen → Bettlägerigkeit und das vermeintliche Paradox von Trainingserfolg allgemein vs. Crashs spezifisch. Konsequenz: Wenn es nicht ins Schema „Training hilft jedem“ passt, ist es Quatsch. Hallo, Zirkelschluss.

Kunstfehler 1 – „Variabilität = Nichtigkeit“: In der klinischen Realität sind Trigger Variabilität und individuelle Schwellen Standard (Migräne? Asthma? Allergien?). Variabilität negiert Spezifität nicht – sie charakterisiert das Muster (verzögert, disproportional, prolongiert). Das ist die Spezifik.

Kunstfehler 2 – Doppelstrategie:

  • Teil A: „PEM ist alles, also nix.“
  • Teil B: „Selbst in standardisierten Tests zeigt es sich nicht immer, also gibt’s das nicht.“

Beides zusammen ergibt den Trick „Heads I win, tails you lose“. Wenn breit definiert, zu breit. Wenn eng getestet, zu eng. Moving the goalposts in Reinkultur.

Kunstfehler 3 – Todesfall Framing: Der Text „entlarvt“ Hinweise auf Todesfälle als „Schaumschlägerei“, reduziert am Ende alles auf Suizidalität und „Fehlbehandlungen“ – wieder Psychologisierung als Universalschlüssel. Keine sauber belegte Generalisierung, nur suggerierte Entlastung der Realität.

Kunstfehler 4 – „Trainingsdogma“ als Universalmedizin: Die Gleichsetzung von „Training hilft bei allem“ ignoriert das Grundmerkmal von PEM: Belastung verschlechtert disproportional und verzögert. Das ist kein „Mangel an Willen“, sondern das definierende Krankheitsverhalten.


Historismus als Abrissbirne („Scharteken“)

Taktik: Der „Anhang“ weltanschaulicht ME/CFS als moderne Variante hysterischer Modediagnosen, gar mit Anleihen bei Shorter. Botschaft: Nichts Neues unter der Sonne – ergo übergriffige Pathologisierung legitim.

Befund: Jetzt wird’s kulturgeschichtlich. Hysterie, Neurasthenie, Fibromyalgie – der ganze Setzkasten. Ziel: Ähnlichkeitsmagie. Wenn’s früher psychogen gedeutet wurde (oder heute umkämpft ist), dann – zwinker, zwinker – doch sicher auch ME/CFS. Dazu die Klassiker: Tender Point Geschichte, „Subkultur“-Framing, und im Nebensatz apodiktische Sätze wie „keine Langzeiterkrankung nach Borreliose“ – während man anderen pauschal Überbehauptung vorwirft. Autorität per Tonfall, nicht per Fairness.

Kunstfehler 1 – Geschichte als Guillotine: Historische Parallelen erklären Diskursdynamik, nicht Pathophysiologie. Aus „Früher nannte man X hysterisch“ folgt nicht, dass heutige Krankheitskonzepte falsch sind – es folgt nur, dass Menschen gern zu Psychologisierung greifen, wenn ihnen die Biologie wegläuft. Truism ≠ Beweis.

Kunstfehler 2 – Analogien statt Daten: Tender Points der Fibromyalgie waren ein Definitionsdesaster – korrekt. Aber daraus eine Generalvollmacht gegen ME/CFS abzuleiten, ersetzt eine schlechte Operationalisierung durch null Operationalisierung. Das ist Analogiezauber statt Argument.

Kunstfehler 3 – „Ich zweifle, also weiß ich’s besser“: Der ganze Anhang lebt von der Pose des Überlegenen: „Sie glauben, wir wissen.“ Das ist kein Skeptizismus, das ist Quasi Dogmatik – Skepsis ohne Selbstskepsis.


Quellenpolitik: Forum Selbstverweis statt Evidenz


Taktik: In allen Teilen laufen entscheidende Behauptungen über forum.psiram.com Threads (#364, #387, #400 etc.). Das ist keine Peer Review, das ist Eigenbetrieb. Das Publikum soll die Schein Souveränität verwechseln mit wissenschaftlicher Stringenz.

Kontrast: IQWiG (Bundesauftrag) und NICE (Staatsleitlinie) dokumentieren transparent Suchstrategien, Evidenzbewertungen und Unsicherheiten – und landen trotz Unsicherheit bei klaren Schutzvorgaben (kein GET, Pacing/Energiemanagement, Risikoaufklärung). Das ist öffentliche Verantwortung, nicht Blog Rabulistik.

Training als goldene Lösung – ohne Haftungsbeipackzettel

Taktik: „Bei Krankheit hilft Training – sonst müsste man Physiotherapie abschaffen.“ Als ob ME/CFS ein Fitnessproblem wäre.

Stand der Versorgung: NICE verbietet GET explizit und warnt, nicht zu „mehr Sport“ zu raten; körperliche Aktivität nur individuell und supervidiert, unterhalb der aktuellen Belastungsgrenze, mit Rückfall Plan. Das ist Patient:innenschutz gegen PEM getriggerte Verschlechterung.

Autoritätsverschiebung: Fachgesellschaften kleinreden, Blog groß

Taktik: Kritik an der DGN Stellungnahme wird als „unsachlich“ etikettiert – während die eigene Serie durch selektive Zitate, Forums Amplifikation und historische Rahmung Definitionsmacht beansprucht.

Realität: Die DGN Stellungnahme ist selbst hochumstritten – und zwar aus Fach und Patientenorganisationen heraus –, weil sie den internationalen Stand unterläuft. Diese Auseinandersetzung ist öffentlich dokumentiert. Psirams „Besonnenheit“ ist hier reines Framing.

Psirams Funktion im Diskurs

Diese Serie verschiebt Definitionsmacht weg von Leitlinien und Versorgungsrealität hin zu einem ideologischen Raster: Heterogenität = psychisch; fehlende Fackel = Dunkelheit; Tragik = PR. Profitieren davon jene, die Leistung verweigern wollen: Versicherer mit „Fitness“-Narrativ, Verwaltungen mit „Compliance“-Raster, Kliniken ohne ME/CFS Strukturen. Betroffene zahlen mit Stigma, Fehlbehandlung, Verschlechterung. Das ist keine Skepsis. Das ist Herunterregeln von Realität.

Kurzfassung:

Psirams ME/CFS Serie ist kein Skeptizismus, sondern Definitionskrieg gegen eine Leitlinien Realität. Sie verschiebt Evidenz in Anekdotenforen, erklärt Variabilität zur Einbildung und verkauft Risikotherapie als Vernunft. Wer ME/CFS Betroffene ernst nimmt, hält sich an NICE, IQWiG, D A CH – und nicht an Blog Dogmen.


Quellen

Zum Weiterlesen:


Sämtliche Einschätzungen auf dieser Seite spiegeln meine persönliche Analyse und Meinung wider, basierend auf öffentlich zugänglichen Quellen und dokumentierten Diskursmustern.


Psiram ist die inoffizielle linke Hand der GWUP: anonym und radikal setzt sie die Attacken, während die GWUP den Seriositätsmantel trägt – eine klare Arbeitsteilung aus Angriff und Legitimation.

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