Pseudo(?)-Skeptizismus

Bedeutet Skeptizismus nicht, dass man Wahrnehmungen und Behauptungen kritisch prüft – unabhängig davon, wer sie aufstellt? Hat Skeptizismus nicht konkret damit zu tun, dass man wissen will, aber Zweifel auch aushalten kann? Dass man sich selbst als Teil des Irrtums begreift und bereit ist, die eigene Meinung zu korrigieren, wenn bessere Argumente vorliegen?

Es geht nicht darum, überall Rechthaberei zu betreiben oder sofort eine Antwort zu haben.
Es geht darum, weiterzufragen – immer bewusster, feinsinniger und wissensdurstiger.

Mein Misstrauen begann vor 3 Jahren

Zitat von Erasmus von Rotterdam – 15./16. Jahrhundert:

Quelle

Wissenschaft und rationales Denken haben mich seit jeher fasziniert. In den letzten zwei bis drei Jahren bin ich allerdings misstrauisch geworden. Glaubte ich zuvor, dass nur Verschwörer, Heiler und Sektierer dogmatisch sind und die Welt verfälschen, erkenne ich nun zunehmend, dass Skeptiker längst schon damit begonnen haben, sie einzuholen.

Manfred Lütz, ein Psychiater, Psychotherapeut und Bestseller-Autor bezeichnet in seinem Buch „Bluff“ den britischen Evolutionsbiologen  Richard Dawkins als einen Missionar, der fundamentalistischen Atheismus betreibt. Damit erzeuge man laut Manfred Lütz eine niederträchtige Fälschung der Wissenschaft und eine hochtrabende Fälschung der Welt. (vgl. Lütz, 2012, Bluff, S.37-38 )

An diese Zeilen denke ich sehr oft, wenn ich die Raffinessen beobachte, mit denen die neuzeitlichen Skeptiker über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg ihre endgültigen Thesen und vermeintlich unanfechtbaren & unumstößlichen Wahrheiten unter dem Label der Naturwissenschaften verbreiten.

Skepsis ist eine Haltung – keine Waffe.

Bedeutet Skeptizismus nicht, dass man Wahrnehmungen und Behauptungen kritisch prüft – unabhängig davon, wer sie aufstellt? Hat Skeptizismus nicht konkret damit zu tun, dass man wissen will, aber Zweifel auch aushalten kann? Dass man sich selbst als Teil des Irrtums begreift und bereit ist, die eigene Meinung zu korrigieren, wenn bessere Argumente vorliegen?

Es geht nicht darum, überall Rechthaberei zu betreiben oder sofort eine Antwort zu haben.
Es geht darum, weiterzufragen – immer bewusster, feinsinniger und wissensdurstiger.

Doch heute wird Skeptizismus zunehmend als Waffe missbraucht: Kulturkämpfe werden geführt, Menschen diskriminiert, Wahrheiten einzementiert. Es geht längst nicht mehr darum, skeptisch zu sein. Es geht um Rechthaberei, politische Einflussnahme, Massenmanipulation – um die Stärkung des eigenen Lagers. Auch das ist Teil des neumodernen (Pseudo-)Skeptizismus.

Wahrheit wird Lagerfrage

Heute hören viele nicht mehr auf Argumente, sondern prüfen nur noch, von wem eine Aussage stammt. Erst wird der Absender überprüft, dann vielleicht die Aussage. Oder man passt diese entsprechend an. Aufrichtigkeit wird verdächtig, wenn sie unbequem ist. Doch Wahrheit braucht keine Partei. Kritisches Denken ist kein Gruppenabzeichen. Es ist eine Haltung, die in jedem Moment neu errungen werden muss.

Wann haben Skeptiker damit begonnen, falsch abzubiegen? Oder waren sie gar schon immer so und haben den „Titel“ des Skeptizismus einfach nur gewählt, um damit zu suggerieren, wie tiefsinnig reflektiert und kritisch sie angeblich sind?

Dass Einzelpersonen mit klarer politischer Agenda sich heute als „skeptisch“ bezeichnen, um gefährlichem Bullshit Glaubwürdigkeit zu verleihen, kann man verschmerzen.
Aber dass bekannte Vereine, die dem Gemeinwohl verpflichtet sein sollten, solche Mechanismen exzessiv betreiben, empfinde ich als hochgradig gefährlich. Gemeinwohl verlangt ehrliche Aufklärung – keine Lagerbildung. Das ist auch einer der Gründe, warum ich in keinem Verein Mitglied bin.

Gruppenzwang

Wie schwer es heute ist, Skeptizismus wirklich zu leben, zeigte sich in der Corona-Krise.
Kaum jemand konnte sich vom massiven Gruppenzwang abgrenzen. Die einen wurden als Schlafschafe beschimpft, die anderen als Aluhutträger. Und um jene, die am meisten gefährdet waren – Kinder, Kranke und Alte – ging es kaum noch. Stattdessen dominierte Rechthaberei und Spaltung – nicht Aufklärung.

Was sich damals im großen Stil zeigte, erleben wir seit vielen Jahren im Kleinen wie im Großen: Keine Differenzierung mehr, eine massiv gespaltene Gesellschaft, eine Gesellschaft, die dadurch in ihren Grundfesten angreifbar wird.

Dogmatismus ist das größte Problem

Dogmatismus frisst unsere Gesellschaft von innen auf. Nur wenige Menschen wollen sich heute noch an Themen reiben, um sich selbst weiterzuentwickeln. Die meisten suchen Bestätigung. An sich wäre das nicht schlimm – doch es fehlt die Mitte. Es fehlen die, die bereit sind, Extreme auszubalancieren.

Beziehungen entstehen kaum noch aus echter persönlicher Wertschätzung, sondern weil man sich thematisch ergänzt und gegenseitig bestätigt. So entstehen nicht nur algorithmische Filterblasen – es entwickelt sich eine emotionale Abhängigkeit von Followern, Likes und Meinungsströmungen. Sobald jemand etwas schreibt, das nicht ins eigene Lager passt, droht Followerverlust. Likes und Anerkennung werden zum Werkzeug der Meinungslenkung.

Wer seinen eigenen Wert an diese oberflächlichen Attribute koppelt, wird zur Marionette der Manipulation. Wer auf Likes Wert legt und danach seinen Content ausrichtet, ist nicht mehr frei – sondern Gehirn-Wachs in den Händen anderer.

Wie entwickelt sich die Wissenschaft?

Skeptisch zu sein bedeutet:

  • offen und neugierig zu sein
  • zu hinterfragen
  • zu untersuchen,
  • kritisch zu sein,
  • zu forschen…

Doch heute scheint es fast riskant, zuzugeben, dass man nur eines sicher weiß: Dass man nichts mit absoluter Sicherheit weiß. (© Sokrates) Kürzlich habe ich erlebt, wie ich von einem selbsternannten Skeptiker in einer kontroversen Debatte „festgenagelt“ wurde – nur weil ich diese Erkenntnis offen formulierte.

Wenn nur noch das zählt, was eindeutig naturwissenschaftlich belegbar ist, wenn Selbsthinterfragung verloren geht, wenn jede abweichende Sichtweise reflexhaft als „Schwurbelei“ abgetan wird – wo bleibt dann eigentlich der notwendige Erkenntnisgewinn? Wie und wodurch entwickelt sich Wissenschaft, wenn Inhalte endgültig festgelegt sind?

Die Entwicklung der Skeptiker-Szene macht mir Sorgen. Gerade durch internationale Vernetzungen haben Skeptiker-Vereine heute politische Macht, und einige scheinen diese bewusst einzusetzen. Ursprünglich bildeten sich diese Vereinigungen, um dem Gemeinwohl zu dienen, um Orientierung in einer verwirrenden Welt zu bieten.

Heute sind sie – oft – Teil des Problems geworden.

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