Till Randolf Amelung und der diskursive Backlash gegen trans Frauen

Der im Jahr 1984 geborene Amelung ist freier Autor und Herausgeber des Sammelbands „Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik“. Als trans Mann nimmt er in der queeren Szene, so aber auch in der Szene, die sich gegen die Genderpolitik positioniert, eine besondere Stellung ein.

Till Randolf Amelung und der diskursive Backlash gegen trans Frauen

Einstieg

Der im Jahr 1984 geborene Amelung ist freier Autor und Herausgeber des Sammelbands „Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik“. Als trans Mann nimmt er in der queeren Szene, so aber auch in der Szene, die sich gegen die Genderpolitik positioniert, eine besondere Stellung ein.

  • Auf Queer-Seite kann kaum jemand verstehen, dass der größte Kritiker (u.a. gegenüber dem Selbstbestimmungsgesetz) aus den eigenen Reihen kommt und
  • auf der anderen Seite – unter anderem jene der TERF Szene – ist er die Vorzeige-Transperson, auf die man jederzeit verweisen kann, um gegen (vorzugsweise) trans Frauen zu argumentieren, was sehr selten ohne die entsprechend radikalen Feindseligkeiten vonstatten geht.

Till Randolf Amelung ist trans – und gehört zu den lautesten Stimmen im deutschsprachigen Raum, wenn es um die Kritik an Positionen und Entwicklungen geht, die insbesondere trans Frauen zugutekommen sollen. Nicht offen aggressiv, sondern akademisch, wohlgesetzt, scheinbar sachlich. Genau das macht ihn so wirksam: Er liefert das, was TERFs, konservative Redaktionen und antiwoke Pseudorationalisten dringend brauchen – eine trans Person, die ihre Positionen als vermeintlich ‚innere Kritik‘ legitimiert.

Selbstbestimmungsgesetz (SBGG)

Wer sich mit Amelungs Texten befasst, erkennt schnell ein wiederkehrendes Muster. Nicht die Gewalt gegen trans Personen steht im Fokus. Nicht die strukturelle Marginalisierung, nicht das mediale Dauerfeuer, nicht die realen Suizidraten. Stattdessen geht es häufig um potenzielle Gefahren. Hypothetische Missbrauchsszenarien. Die trans Frau als Risiko. Das Selbstbestimmungsgesetz als vermeintlicher Türöffner für Übergriffe. Der Diskurs verschiebt sich dadurch schleichend: weg von denjenigen, die konkret betroffen sind – hin zu jenen, die sich vor ihnen fürchten.

Amelung hatte wiederholt vor einem Missbrauchspotenzial gewarnt, sollte das Selbstbestimmungsgesetz ohne verpflichtende Beratung in Kraft treten – ein Argument, das auch im Rahmen der Bundestagsanhörung aufgegriffen wurde. So verwies etwa der Psychoanalytiker Bernd Ahrbeck u. a. explizit auf Amelungs Positionen. Oft werden extreme Einzelfälle – etwa Missbrauch durch angeblich „falsche“ Transpersonen – als Begründung genutzt. Ansonsten richtet sich diese Kritik formal gegen hypothetischen Missbrauch durch Menschen, die sich fälschlich als trans ausgeben könnten. Doch ihre politische Wirkung trifft trans Personen direkt: Denn wer das Gesetz vor allem als Risiko betrachtet, sät Misstrauen gegenüber allen, die es nutzen – auch gegenüber denen, für die es existenziell wichtig ist. Statt strukturelle Gewalt gegen trans Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, verschiebt sich der Diskurs zu Szenarien, in denen trans Identitäten potenziell instrumentalisiert werden könnten. So werden reale Probleme ausgeblendet – und marginalisierte Gruppen in der Debatte erneut zum Objekt von Kontrolle.

Ja, jedes Gesetz konnte (und könnte) Risiken bergen und selbstverständlich ließ sich darüber streiten. Doch Kritik wäre nur dann im konstruktiven Sinne legitim gewesen, wenn man die Verhältnismäßigkeit berücksichtigt hätte. Im Gegenzug wurden nämlich reale Diskriminierung, rechtlicher Ausschluss und Gewalt gegen trans Menschen häufig vernachlässigt. Während über vermeintliche Risiken breit und in diesem Fall nahezu ausschließlich diskutiert wurde, fehlte es an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dokumentierter transfeindlicher Gewalt, sozialen Barrieren und den psychischen Belastungen der Betroffenen.

Frauenräume

In Interviews (taz.de) und parlamentarischen Stellungnahmen argumentierte Amelung, Frauen müssten entscheiden dürfen, ob und wann sie trans Frauen in Frauenräumen zulassen und verteidigte dies als legitimes feministisches Selbstbestimmungsrecht. Zugleich warnte er vor Fällen, in denen Selbstidentifikation angeblich ausgenutzt worden sei – etwa für Quotenlisten, Sauna­zugang oder früheren Renteneintritt.

So heißt es etwa auf der Seite Demo für alle:

„Amelung dokumentiert zahlreiche Fälle von Männern, die sich bereits durch einen Geschlechtswechsel per Sprechakt einen Vorteil oder Zugang in Frauenräume verschafft haben.“

Das klingt dramatisch, doch Amelung nennt konkret keine offiziellen Zahlen, keine Untersuchung oder behördliches Datenmaterial. Die Fälle erscheinen eher anekdotisch aus Debatten und öffentlichen Anhörungen.

Entscheidend ist auch hier die Wirkung dieser Argumentationslogik: Sie verschiebt die Debatte weg von empirisch belegter transfeindlicher Gewalt hin zu hypothetischen Missbrauchsszenarien, und nährt so Misstrauen gegenüber allen trans Personen.

Alibifigur

Dass Amelung seit rund zwei bis drei Jahren Mitglied der GWUP ist, ist kein nebensächliches Detail. Die Organisation, die sich zunehmend durch kulturpolitische Debatten geprägt zeigt, bietet mit seiner Mitgliedschaft eine bequeme Projektionsfläche: ‚Ein Transmann, der unsere Kritik teilt.‘ In öffentlichen Debatten dient seine Position damit immer wieder als Legitimationsfigur für Narrative, die sonst leicht als transfeindlich eingeordnet würden. Dass seine trans Identität dabei gezielt hervorgehoben wird, ist sicherlich kein Zufall. Es geht um Glaubwürdigkeit durch Differenz – und genau darin liegt die strukturelle Funktion, die seine Rolle erfüllt.

In der Rolle des abweichenden Zeugen erfüllt Amelung eine funktionale Position: Er wird zitiert, herangezogen, verwiesen – von TERFs, von rechten Kolumnist:innen, von innerorganisatorischen Stimmen innerhalb der GWUP, um sich gegen den Vorwurf der Transfeindlichkeit zu immunisieren. Sein öffentliches Wirken trägt damit weniger zu einer differenzierten Debatte bei, als vielmehr zur Stabilisierung jener Narrative, die trans Existenzen regulieren, begrenzen und zurückdrängen wollen.

Dieses Prinzip folgt einer klaren Logik: Wer ‚aus der Community‘ kommt und zugleich vor deren vermeintlicher Radikalisierung warnt, gilt als glaubwürdig. Was daraus folgt, ist jedoch keine Öffnung des Diskurses, sondern eine diskursive Verschiebung: Die Perspektive trans Frauen wird nicht ergänzt, sondern ersetzt. Ihr Widerstand wird nicht ernst genommen, sondern relativiert.

Dabei geht es nicht um persönliche Absichten, sondern um die strukturelle Wirkung. Amelung ist nicht Auslöser dieser Dynamik, aber Teil ihres Verstärkungssystems. Und wer – ob gewollt oder unbeabsichtigt – zu einer Rhetorik beiträgt, die trans Frauen misstrauisch beäugt, ihre Rechte als Risiko verhandelt oder sie mit Täterschaft in Verbindung bringt, trägt zur Atmosphäre bei, in der ihre Existenz infrage gestellt wird.

Solidarität mit trans Frauen bedeutet, genau hinzusehen – auch dann, wenn Kritik höflich verpackt ist, akademisch klingt oder als innerer Diskurs verkauft wird. Denn was als Schutz verkauft wird, ist oft nur ein neues Konzept für Ausschluss.


Weitere Quellen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert