Ursprung der Behindertenbewegung

Das letzte Thema hat zwei heftige Reaktionsarten in den sozialen Medien ausgelöst. Zum einem eine starke Zustimmung, auch in der trans Community und zum anderen einen heftigen Shitstorm, der tagelang anhielt. Auf Grund dessen möchte ich heute auf zwei brisante Themen eingehen.  

Sprache und Verhalten in der Behinderten-Bewegung

Das letzte Thema hat zwei heftige Reaktionsarten in den sozialen Medien ausgelöst. Zum einem eine starke Zustimmung, auch in der trans Community und zum anderen einen heftigen Shitstorm, der tagelang anhielt. Auf Grund dessen möchte ich heute auf zwei brisante Themen eingehen.  

Thema „Behinderung und laut sein“

Ich habe hier auf meinem Rechner eine Menge Screenshots der letzten zwei bis drei Tage. Betreff: Das Verhalten mir und jenen gegenüber, die mir zugestimmt haben. Zuerst wollte ich diese posten und direkt darauf eingehen, aber ich werde diesen Personen keine direkte Bühne mehr geben. Stattdessen habe ich mich entschieden, ein paar grundlegende Gedanken zum Thema „Laut sein“, Ableismus und marginalisierte Gruppen zu posten.

Ganz außenstehend bin ich übrigens nicht. Ich habe mehrere schwere Behinderungen und Pflegegrad 3. Einen Pflegegrad, den man nicht einfach so bekommt bzw. für den man sehr kämpfen muss. All jene, die sich um einen Pflegegrad bemühen oder ihn erkämpft haben, werden mir zustimmen.  

Was bedeutet eigentlich dieses „Laut sein“?

Schaut man sich in den letzten Tagen auf X/Twitter um (oder auch früher bei anderen Nutzer:innen), könnte man meinen, „laut sein“ bedeutet, aggressiv und beleidigend zu sein. Das ist leider ein Muster, das viele aus aktivistischen Räumen oder von Plattformen wie dieser kennen: eine toxische Diskussionskultur, in der Differenzierung kaum Platz hat. Das war SO nie gemeint.

„Seid laut“ meint nicht, dass man herumschreien soll. Es ist kein Aufruf zur Aggression oder zum Krawall, sondern eine Aufforderung zur Sichtbarkeit und zum Einmischen. Gerade für marginalisierte Gruppen, etwa Menschen mit Behinderung, heißt das:

  • sich nicht verstecken
  • Missstände benennen
  • öffentlich Position beziehen
  • gehört werden wollen – das auch einfordern!

In vielen Kontexten werden Menschen mit Behinderung „leise gemacht“ und übergangen. Man spricht über sie, anstatt mit ihnen. Man nimmt sie nicht ernst. „Seid laut“ ist ein Gegenschlag dazu.

Um es mit einem Wort zu beschreiben: „Laut sein“ bedeutet Empowerment.

Ist-Zustand:

Mittlerweile ist es so, dass jede Kritik an einer Sache sekundenschnell als Angriff auf die Identität gelesen wird. Was dann folgt, ist kein Empowerment. Einige sehr laute Personen nutzen die Bewegung, die sich für Sichtbarkeit einsetzt, als Deckmantel, um unkontrolliert Dampf abzulassen, andere zu beleidigen oder Diskussionen zu kapern. Wenn man dann sagt: „Hey, das Verhalten geht nicht“, oder wenn man klar macht, dass man sich nicht mit der Person/dem Verhalten befassen möchte, heißt es sofort, man wolle marginalisierte Stimmen unterdrücken. Kritik am Tonfall oder Verhalten gilt dann als Ableismus.

Wenn jemand behindert ist, wird das mitunter wie ein „Immunitätsausweis“ benutzt. Ganz nach dem Motto: „Ich darf sagen, was ich will, jede Kritik daran ist Unterdrückung.“ Auch dann, wenn die Kritik von einer schwerbehinderten Person kommt, die sich als solche zu erkennen gibt. In dem Moment scheint die Behinderung plötzlich nicht mehr wichtig, denn auch über diese Person wird mit Vollgas drübergebrettert (ein besserer Ausdruck fällt mir da leider nicht ein).

Das ist nicht progressiv, das ist autoritär. Und es geht noch weiter.

Thema „Radikal fehlgeleitete Sprachkritik“

… die sich von ihrem ursprünglichen Anliegen – Inklusion und Sensibilität – entkoppelt hat.

Ja, Sprache kann ausschließend wirken. Und ja, es lohnt sich, über Begriffe wie „blind“, „taub“, „hysterisch“, „verrückt“ usw. nachzudenken. Aber nicht jeder Gebrauch ist automatisch ableistisch, auch wenn einige (erneut sehr laute) Mitglieder genau das regelmäßig behaupten. So auch in den letzten Tagen, als eine Userin einen Satz formulierte, der die Wendung „jemandem blind folgen“ enthielt.

Es wurde sich über sie lustig gemacht, sie wurde als ableistisch beschimpft, es kam zu lautstarken Beleidigungen. Wie sollen Menschen unter diesen Bedingungen überhaupt lernen, Sprache sensibler einzusetzen? Ganz abgesehen davon: „Blind folgen“ ist eine Metapher und kein Angriff auf blinde Menschen.

Konstruktive Kritik wäre: „Hey, hast du mal drüber nachgedacht, dass ‚blind folgen‘ für manche schwierig klingen kann?“

Was stattdessen passiert: „Boah, wie ableistisch bist du eigentlich. Unfassbar.“ Am besten noch mit Ausschluss drohen.

Das ist keine Sensibilisierung. Das ist soziale Bestrafung. Menschen, die vielleicht offen für Lernen wären, werden so nicht erreicht, sondern beschämt oder verunsichert. Allein diese Kritik von mir wird von einigen wahrscheinlich erneut als Ableismus dargestellt. Ja, ich kann mittlerweile hellsehen.

Zwischenanmerkung: Es ist tatsächlich passiert. Mehrere Personen bezeichnen meinen Beitrag als ableistisch.

 Ein paar letzte Worte:

Die ursprüngliche Idee war: Sprache so gestalten, dass sie niemanden ausschließt oder verletzt. Das Verhalten in manchen Kreisen hat sich jedoch in etwas ganz anderes verwandelt:

  • Selbstinszenierung als moralisch Überlegene
  • Machtspielchen durch „Call-Outs“
  • Strafen statt Gespräche!

Das hat mit Barriereabbau nichts mehr zu tun. Es ist identitätspolitische Kontrolle, keine emanzipatorische Bewegung.

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