Wenn Woke plötzlich das Gegenteil meint
Tatsächlich wurde mein Beitrag über die Behindertenbewegung von TERFs geteilt, stellenweise sogar von Menschen mit politisch fragwürdigen Ansichten. Einer schrieb dazu:
„Das beschreibt sehr gut, was Woke ist.“
Ich habe diese Personen sofort blockiert, aber darum geht es mir hier nur am Rande. Es geht um den Begriff „Woke“.
Was bedeutet es, woke zu sein?
Die meisten kennen den Ursprung des Begriffs. Er stammt aus der Emanzipationsbewegung Schwarzer Menschen in den USA und wurde dann von amerikanischen Rechten und Rassisten benutzt um jede Emanzipationsbewegung zu diskreditieren. Und ich denke, viele würden zustimmen, dass das, was ursprünglich mit „woke“ gemeint war, nämlich Aufmerksamkeit für soziale Ungerechtigkeit, richtig und wichtig ist. Mit Ausnahme jener bekannten „schwierigen Fälle“.
Heute ist der Begriff komplett verbrannt. Im sogenannten Kulturkampf steht „woke“ oft für genau das Verhalten, das ich in meinem Beitrag kritisiert habe. Und weil immer mehr Menschen genau dieses Verhalten selbst erleben, ist der Kulturkampf so erfolgreich: mit gefährlichen Folgen. Der Zuwachs der AfD ist ein deutliches Zeichen dafür.
Ich möchte betonen:
Was ich kritisiert habe, hat nichts mit Woke zu tun.
Es geht um eine Form von destruktivem, aggressivem Verhalten im Netz, um fehlende soziale Grenzen, nicht um Ideale. Es geht auch nicht um die Behindertenbewegung und nicht um die trans Community.
Im Gegenteil: Die meisten Menschen aus der Community, auch trans Personen, haben mir zugestimmt und sind sehr daran interessiert, auf Augenhöhe zu diskutieren.
Obwohl es Einzelne waren, die mich und andere attackiert haben, schätze ich die trans Community heute mehr denn je.
Was hat das mit Meinungsfreiheit zu tun?
Im Zusammenhang mit Meinungsfreiheit las ich gestern folgenden Satz:
„Meinungsfreiheit bedeutet auch, dass ich dir jederzeit ins Gesicht sagen kann, dass ich deine Meinung absolut sch**ße finde.“
Dieser Satz stand im Kontext einer Debatte über sogenannte Haltungsmedien und den Verlust „objektiver“ Berichterstattung.
Mir wurde dabei klar, dass genau diese Einstellung – dieses „Ich darf alles sagen, egal wie“ – das ist, woraus sich der Kulturkampf speist.
Sie wird von allen Seiten in Anspruch genommen. Ob von Autoritären, rechten Trollgruppen oder wütenden Einzelpersonen.
Und im Internet wird genau daraus ein Dauerfeuer. Die Formel:
„Du kannst ja alles sagen – aber dann musst du mit dem Echo leben“
wird zur Legitimation für Mobbing, Diffamierung und Ausgrenzung.
Früher, als es soziale Medien in dieser Form noch nicht gab, gab es dieses aggressive Hin und Her nicht in dieser Breite. Das, was wir heute erleben, ist ein reines Internetproblem mit realen Folgen.
Es gibt nur eine woke Bewegung
Die ursprüngliche Idee von der woken Bewegung war: Wachsam sein gegenüber Diskriminierung.
Was heute unter dem Etikett „woke“ verkauft wird – egal ob von rechts oder von links kritisiert – ist oft nichts weiter als schlechtes Benehmen, das sich moralisch tarnt.
Und ja, dieses Verhalten findet man in allen Lagern. Die sozialen Medien verstärken es nur.
Deshalb sollten wir nicht Begriffe wie „woke“ bekämpfen, sondern uns fragen, wie wir mit toxischem Verhalten umgehen, egal, von wem es kommt.
Was sind die Folgen für trans Menschen:
Wenn wir diese Dynamik nicht erkennen und durchbrechen, dann wird der Kulturkampf weiter eskalieren.
Ich bin überzeugt, das wird der AfD in die Hände spielen. Und das wiederum wird besonders für trans Menschen und andere marginalisierte Gruppen verheerend sein.
Was das konkret bedeutet, sehen wir, wenn wir bereit sind, hinzuschauen.
Die Entwicklungen in anderen westlichen Staaten sprechen eine deutliche Sprache:
Vereinigtes Königreich (UK)
- Im April 2025 entschied der Oberste Gerichtshof, dass der Begriff „Frau“ im Gleichstellungsgesetz ausschließlich auf biologische Frauen zutrifft. Dies schränkt die Rechte von Transfrauen erheblich ein, selbst wenn sie über ein Gender Recognition Certificate verfügen.
- Seit Juni 2025 dürfen Transfrauen nicht mehr in Frauenfußballteams spielen.
- Ein temporäres Verbot von Pubertätsblockern für Minderjährige wurde eingeführt, was den Zugang zu geschlechtsangleichender medizinischer Versorgung erschwert.
Vereinigte Staaten
- Bis Februar 2025 haben 27 Bundesstaaten Gesetze erlassen, die geschlechtsangleichende Behandlungen für Minderjährige verbieten oder einschränken.
- Unter der Trump-Administration wurden LGBTQ+-Rechte zurückgenommen, darunter die Aufhebung von Antidiskriminierungsmaßnahmen und das Verbot von LGBTQ+-Inhalten in bestimmten öffentlichen Einrichtungen.
Kanada
- In Saskatchewan und Alberta müssen Schüler unter 16 Jahren die Zustimmung der Eltern einholen, um ihren Namen oder ihre Pronomen in der Schule zu ändern.
- In Alberta wurde ein Gesetz verabschiedet, das Transmädchen von Frauensportteams ausschließt und den Zugang zu Pubertätsblockern für Minderjährige unter 16 Jahren verbietet.
Ungarn
- Ein Gesetz von 2021 verbietet LGBTQ+-Inhalte in Schulen und im Fernsehen vor 22 Uhr. Ein EU-Rechtsgutachten bezeichnete dieses Gesetz als Verstoß gegen Menschenrechte und Meinungsfreiheit.
Slowakei
- Die Regierung hat eine Verfassungsänderung verabschiedet, die die Anerkennung von Transpersonen einschränkt und LGBTQ+-Themen aus dem Bildungswesen verbannt.
Quellen:
- https://en.wikipedia.org/wiki/Transgender_rights_in_Canada
- https://en.wikipedia.org/wiki/LGBTQ_rights_in_the_United_States
- https://www.theguardian.com/society/2025/jun/06/ehrc-commissioner-calls-for-trans-people-to-accept-reduced-rights-after-years-of-lies
- https://www.erininthemorning.com/p/europes-latest-trans-rights-map-shows